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Kabinettausstellung

Herrscher auf dem Meeresgrund – Brachiopoden der Geraer Zechsteinlagune vor 255.000.000 Jahren

2. Juni 2022 bis 28. Mai 2023

Kalkstein voll mit Fossilien wie Brachiopoden und Bryozoen aus Gera. © Stadt Gera / Museum für Naturkunde (Fotograf: Frank Hrouda)
Verschiedene Brachiopoden zusammen mit Bryozoen, Fundort: Gera

Das Museum für Naturkunde Gera präsentierte die Kabinettausstellung „Herrscher auf dem Meeresgrund – Brachiopoden der Geraer Zechsteinlagune vor 255.000.000 Jahren“. Brachiopoden sind Tiere, die ausschließlich im Meer leben und die man auf den ersten Blick für Muscheln halten könnte. Heute gibt es auf der Erde nur noch etwa 370 verschiedene Arten, die keine große ökologische Rolle spielen. Vielleicht sind Brachiopoden deshalb eher unbekannt und vor allem auch geheimnisvoll. Im Laufe der Erdgeschichte seit dem Kambrium vor 540 Millionen Jahren existierten jedoch mindestens 30.000 Arten, die als Fossilien weltweit gefunden werden. In bestimmten Erdzeitaltern scheint ihre Vielfalt schier grenzenlos. Wie Muscheln haben Brachiopoden ein Gehäuse, das prinzipiell aus zwei Schalen bzw. Klappen besteht. Dennoch überwiegen die morphologischen und anatomischen Unterschiede, so dass Brachiopoden nicht zu den Weichtieren gehören, sondern einen eigenen Tierstamm bilden.

Viele Bürger und Bürgerinnen aus dem Nordosten und Nordwesten von Gera finden immer wieder solche versteinerten Brachiopoden am Feldrand oder in Baugruben. Der erste Geraer, der solche Versteinerungen fand und 1745 über sie berichtete, war Tobias Conrad Hoppe (1697-1778). Er hielt seine Fundstücke für angeschwemmte und liegengebliebene Überbleibsel der biblischen Sintflut. Tatsächlich hatte wohl das Zechsteinmeer am Ende des Erdzeitalters Perm vor ca. 258 bis 251 Millionen Jahren ein Gebiet von Großbritannien, Polen, Nord- und Mitteldeutschland flutartig überschwemmt. Auch die Landmasse des heutigen Geras, die sich zu dieser Zeit jedoch noch knapp nördlich des Äquators befand, wurde überflutet.

Aus der Wüste wurde ein Küstengebiet, denn Gera lag am Uferbereich des jungen Zechsteinmeeres. Vieles deutet sogar darauf hin, dass sich im Gebiet des heutigen Nordostens von Gera eine Art Lagune befand. Das einströmende Meer brachte eine Vielzahl von Meeresbewohnern mit sich, darunter auch die Brachiopoden. Zur Anfangszeit des Zechsteinmeeres beherrschten sie den Meeresboden. Bestimmte Gesteinsschichten wie die sogenannte Productusbank bestehen überwiegend aus ihren versteinerten Schalen. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden Brachiopodenfossilien zunehmend systematisch in Gera gesammelt und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschrieben. Zu den Autoren gehören Friedrich Eduard Mackroth, Robert Eisel, Hanns-Bruno Geinitz, Erich Malzahn und Hanspeter Jordan.

Die Sonderausstellung vereinte die besten Funde von Brachiopoden der letzten zweihundert Jahre aus dem Raum Gera. Die Fundstücke stammen aus den Stadtteilen Bieblach-Ost, Dorna, Milbitz, Roschütz, Röpsen, Tinz, Trebnitz und aus dem angrenzenden Schwaara im Landkreis Greiz. Über 19 verschiedene Brachiopodenarten sind von diesen Fundstellen bekannt. Jede auch noch so seltene von ihnen wurde in der Ausstellung mittels sehr gut erhaltener und besonders schöner Exemplare gezeigt.

Neben Fossilien aus den Beständen des Museums für Naturkunde Gera waren vor allem Brachiopoden aus der Sammlung des Geraer Brachiopodenkenners Thomas Hahn zu sehen. Er sammelt seit über 30 Jahren fossile Brachiopoden und konzentriert sich vor allem auf die Fundmöglichkeiten im Stadtgebiet von Gera. Außerdem hat er sich auf die Präparation seiner Funde spezialisiert, denn erst nachdem die Brachiopoden mittels vorsichtiger und stundenlanger Arbeit aus dem umgebenden Gestein freigelegt wurden, werden sie sichtbar. Besonders beeindruckend waren große Gesteinsplatten aus der Sammlung von Thomas Hahn mit einer Vielzahl darauf und darin erhaltener Brachiopoden, die ganze Lebensgemeinschaften repräsentieren. Für jede dieser Platten waren hunderte Stunden Präparationsarbeit nötig. Dafür erhielt Thomas Hahn 2021 bereits die Ehrenamtsmedaille.

Der häufigste, größte und auffälligste Brachiopode aus dem Geraer Stadtgebiet ist vielen Naturfreunden als „Krötenkopf“ oder „Productus“ bekannt. Sein wissenschaftlicher Name ist Horridonia horrida; „schreckliche Schreckliche“. In der Ausstellung wurde der sehr variable und formenreiche Brachiopode in allen Einzelheiten genau beleuchtet; vor allem auch äußerst bizarre und seltene Exemplare mit den „schrecklich“ langen Stacheln an den Schalen. Solche Raritäten wirken so skurril wie aus einer anderen Welt – der vergangenen Welt am Ende des Perm. Nur wenige Millionen Jahre nachdem Horridonia horrida mit anderen Brachiopoden den Grund des jungen Zechsteinmeeres beherrschte, kam es in der Erdgeschichte am Übergang der Permzeit zur Triaszeit zum größten bekannten Artensterben der Erdgeschichte. Auch die Brachiopoden wurden damals weltweit drastisch dezimiert. So zeigte die Ausstellung fossile Tiere aus einer Welt kurz vor einer der folgenreichsten ökologischen Katastrophen der Erdgeschichte. Diese Welt liegt unter Teilen Geras verborgen und wurde in der Ausstellung anhand der Fossilien so umfassend wie noch nie gezeigt.

Außerdem erwartete die Besucher und Besucherinnen ein Überblick von Brachiopoden aus allen Erdzeitaltern, vom Kambrium bis heute noch existierenden Gattungen wie Lingula, einem echten lebenden Fossil. Diese Fossilien stammen von Fundstellen unterschiedlichster Länder von Australien bis Kanada.

Eine Eröffnungsveranstaltung zur Ausstellung fand am Samstag, dem 18. Juni 2022 statt. Jeweils 10.00 Uhr, 14.00 Uhr und 18.00 Uhr fand ein Vortrag mit anschließender Führung in der Ausstellung statt. Im Anschluss wurde als besonderes Erlebnis noch eine Muschelsuppe serviert. 

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Der Geraer Brachiopoden-Sammler Thomas Hahn bei der Präparationsarbeit eines großen Fundstücks.

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